Im Neuen Deutschland ist dieser Tage ein Kommentar von Dr. Nadja Rakowitz erschienen, in dem „Alternativen zum real existierenden Gesundheitswesen“ angemahnt werden. Sie bezieht sich dabei auf die Krankenhäuser.
Dass die neoliberal ökonomisierte Kliniklandschaft in Deutschland immer schlechtere Medizin produziert, ist Insidern bekannt; die Zustände werden langsam, zu langsam auch medial allgemein bekannt.
Warum funktioniert es scheinbar doch? Die Patienten haben in der Regel ganz andere Sorgen und beschweren sich zu selten; auch verstehen sie nicht genau, welche systemischen Fehler zu den konkreten Mängelsituationen geführt haben.
Rakowitz schreibt:„´In ein paar Jahren wird das Gesundheitswesen unbezahlbar sein`, droht uns die veröffentlichte Meinung seit Jahren. Und warum? Es liegt angeblich am demografischen Wandel, am medizinisch-technischen Fortschritt, der Freibiermentalität der Patienten.“ Dass das teilweise schlechte Argumente sind, wie sie meint, stimmt nur teilweise. Am Fortschritt liegt es bedingt: Die einzelne ärztliche Leistung kostet nicht viel mehr als dieselbe vor 100 Jahren, aber was konnte man damals schon groß machen? Es ist also die gewaltige Zunahme der Zahl ärztlicher Leistungen, die heute möglich sind, die zur Verteuerung führt. Aber wer wollte darauf verzichten?
Der demografische Wandel wiederum hat dazu geführt, dass heute mehr kranke Menschen leben als früher. Wer vor 100 Jahren überhaupt lebte, war einigermaßen gesund, Krankheit bedeutete oft den baldigen Tod. Jahre-, ja jahrzehntelang dauernde Behandlungen waren im Gegensatz zu heute selten. Und die Freibiermentalität der Patienten? Es könnte eine sinnvolle Selbstbeteiligung der Patienten an der Finanzierung der Behandlung manch absurdes Anspruchsdenken vermeiden und ein gutes Vorsorgedenken fördern. Warum soll die Solidargemeinschaft für Leute bezahlen, die unbedingt Skifahren und sich die Beine dabei brechen müssen?
Worauf Rakowitz hinaus will, ist leider links-populistisch motiviert: „Derweil verdient nicht nur die Pharmaindustrie Unsummen.“ Grundsätzlich sieht die Autorin hier zwar richtig: Geld ist abstrakt da, und zwar mehr als genug. Von einer Unbezahlbarkeit des Gesundheitswesens zu reden ist so gesehen falsch. Aber etwa die Pharmaindustrie zu verstaatlichen, kann die Lösung kaum sein. Anstatt von einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft zu phantasieren, von der auch schon im Titel die Rede ist („klassenloses Krankenhaus“), sollten probate Mittel innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung gesucht werden. Das Problem ist ja, dass das entscheidende Adjektiv abgeschafft wurde: sozial könnte unsere Marktwirtschaft sein, ist es aber immer weniger. Und hier sollte angesetzt werden.
Unerträglich in der Tat sind die Folgen der Privatisierung von Krankenhäusern, in denen plötzlich Kaufleute das Sagen haben, die von Medizin keine Ahnung haben. Es sind immer noch – und bis auf weiteres – die Ärzte und ihre Therapie, die die Leute anziehen. Wenn die Leistungsträger im Krankenhaus nichts mehr zu melden haben, kann das nicht gut sein: ein in diesem Umfeld sehr fraglicher ökonomischer vor ärztlichem Sachverstand – eine Katastrophe.
Die von Rakowitz angesprochenen Missstände an der von der Rhön-Klinikum AG gekauften und heruntergewirtschafteten Uniklinik Gießen/Marburg können verallgemeinert werden. Die DRG genannten Fallpauschalen haben mit einer gewissen kaufmännischen Logik dazu geführt, dass die Krankenhäuser lukrative den notwendigen Behandlungen vorziehen. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein Notfall, der Verlust verspricht, zwischen ein paar Kliniken hin- und hergefahren werden muss, bis sich ein Platz findet. Das beliebte Prinzip „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“ hat auch hier Einzug gehalten: Wenn die Dividenden und anderen privaten Gewinne nicht wieder in das Gesundheitswesen reinvestiert werden, ist das skandalös. Eine Gesellschaft, die sich für zivilisiert hält, sollte an Leiden und Krankheit nicht verdienen wollen.
Besonders Unikliniken, an denen bislang nicht bewiesenermaßen wirksame Therapien erprobt und besonders schwere Fälle behandelt werden, die vielleicht auch niemals wieder völlig werden gesunden können, sollten von ökonomischen Spielchen verschont werden. Es geht also darum, die Exzesse der Ökonomisierung zu beseitigen und anzuerkennen, dass es Bereiche gibt, die alle Bürger betreffen (wie die Gesundheit) und darum staatliche Aufgabe sind.
Das über eine Rekommunalisierung hinzubekommen, mag ein Weg sein. Der Staat wird dafür Geld brauchen, ohne Eigenbeteiligung wird es nicht gehen. Die „bürokratischen Handlungsmuster“ öffentlicher Verwaltungen hingegen, vor denen Rakowitz Angst hat, waren so furchtbar nicht. Ich sehe nicht, dass die Verwaltungen an den unternehmerisch geführten Krankenhäusern heute wesentlich effizienter arbeiten würden.
Die Kostensenkungen, die untrennbar mit Privatisierungen verbunden sind, haben in den Krankenhäusern dazu geführt, dass der Fahrdienst, die Wäschereien, die Reinigung und schließlich auch die Pflegedienste „outgesourct“ werden. Diese Menschen haben keinerlei innere Beziehung mehr zum Krankenhaus, an dem sie arbeiten, sie verdienen auch so wenig, dass die Motivation auf der Strecke bleibt. Eine der Konsequenzen: Osteuropäer, die das Lohnniveau gerade noch akzeptieren, aber nicht richtig deutsch sprechen können, dienen als Dummy. Die Stelle ist formal besetzt, die Verwaltung also nicht angreifbar. Was aber auf den Stationen an Kommunikationsfehlern passiert, müssen die Patienten ausbaden. Da nützen auch die Algorithmen der sogenannten Qualitätsmanagementhandbücher nichts, in denen immer schlechter ausgebildete Kräfte nach Art der Fließbandarbeit zur mechanischen Durchführung bestimmter Arbeitsabläufe gedrillt werden sollen.
Im Krankenhaus geht das jedoch nicht. Die Arbeit ist komplexer, Zwischenmenschliches spielt eine große Rolle, eine gute Ausbildung ist unverzichtbar. Doch sie ist teuer. Der rein auf ökonomische Zweckorientiertheit getrimmte Ausbildungswandel wütet auch hier: Es gibt immer mehr abgespeckte Pseudo-Ausbildungen. Bald wird auch der Arzt light eingeführt werden, eine Art Bachelor-Studiengang. An die Patienten herangelassen sollen diese – ja, wie soll ich sie nennen? – „Mediziner“ nicht. Auch hier stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft sich eine gute Ausbildung leisten oder ob sie aus Universitäten eine Art Fachhochschulen machen will. Das gilt für alle Sparten. Man überlege nur mal, was die Mittlere Reife früher wert war und heute wert ist. In Deutschland ist das Handwerk, auf das es einmal so stolz war, ruiniert, am Bau zum Beispiel hört man kein deutsches Wort mehr. Dieser Ausverkauf heißt vornehm Globalisierung. Es funktioniert noch irgendwie – fragt sich nur, wie lange noch?
Rakowitz hat aber nicht die Steigerung der medizinischen Qualität im Auge, sie wird auch nicht von der Sorge um das Wohl der Patienten umgetrieben. Ihre Argumente sind ideologisch. „Zu überlegen wäre, an das Konzept des ´klassenlosen Krankenhauses` aus den 1970er Jahren anzuknüpfen, das leider nie umgesetzt worden ist. Zu diesem Konzept gehören die Abschaffung der Chefarzthierarchie, die Abschaffung der Ungleichbehandlung von GKV- und PKV-Versicherten und die Einführung einer demokratischen, mitbestimmten, kollektiven Klinikleitung aus ÄrztInnen, Schwestern oder Pflegern, Verwaltungsangestellten und VertreterInnen des Kreistags sowie Patientenvertretungen.“ Ein sozialistischer Alptraum. Die Befugnisse des Chefarztes gehen vor allem an Unikliniken zu weit. Das hat aber mit der Professur zu tun. Hier wäre eine Reform im Sinne von mehr Kollegialität dringend nötig. Sie ist aber teuer, weil mehr Stellen geschaffen werden müssten. An nichtuniversitären Häusern hat der Chefarzt aber heute schon viel zu wenig zu sagen, was oben aus der Ökonomisierung heraus erklärt wurde – soll er nun fachlich auch beschnitten werden? Der Chef oder die Chefin muss ärztlich das letzte Wort haben, schließlich trägt er oder sie dann auch die Verantwortung. Voraussetzung ist natürlich eine hoffentlich vorhandene Qualifikation und Erfahrung.
Da erhebt sich sogleich die Frage nach den Kriterien, nach denen die Verwaltungen die Chefs berufen. Ist es die berufliche Qualität? Im nichtuniversitären Bereich werden leider Leute bevorzugt, die mehr merkantile als ärztliche Qualitäten haben, die Vorgaben der Verwaltung schlucken sowie relativ geringe Gehälter akzeptieren, die in keinem Verhältnis zur Verantwortung stehen. Die Besten werden schon lange nicht mehr Chefarzt, sie gehen in die Praxis. Dass GKV- und PKV-Versicherte im Krankenhaus ungleich behandelt würden, ist mir neu. Rakowitz meint natürlich, GKV-Versicherte würden schlechter behandelt. Es ist umgekehrt so, dass PKV-Versicherte häufig mit unnötigen, aber lukrativen Diagnostiken und Therapien traktiert werden, während GKV-Versicherte in Deutschland bislang sehr gut dran waren und in aller Regel eine ausgezeichnete und vor allem sinn- und maßvolle Behandlung erhielten. Das kommt jetzt freilich ins Wackeln, aber aus den genannten Gründen.
Der letzte Vorschlag von Rakowitz schlägt dem Faß den Boden aus. Die „Einführung einer demokratischen, mitbestimmten, kollektiven Klinikleitung“ wäre der Untergang jedes Krankenhauses. Die Idee solcher Führungskollektive entstammt ebenfalls den kommunistischen Träumen der SED und ihrer westlichen Salonvarianten seit 68. Die Folgen hat mir ein Budapester Chefarzt einmal eindrücklich erläutert. Wenn erst die Putzfrau über Neueinstellungen mitbestimmt, wird es kritisch. An welche ausländischen Vorbilder Rakowitz denkt, wo solches gut funktionieren soll, schreibt sie nicht. Nein, „kollektiv“ und „klassenlos“, das hatten wir schon mal. Es geht auch anders. Dr. Nadja Rakowitz hat eine Chance verpasst, einer berechtigten Kritik besonnene Verbesserungsvorschläge folgen zu lassen. Da nützt auch nicht, dass sie ständig das Binnen-I gebraucht.